1992 - 1999

1992: LEIPZIG CRIME

Die Anfänge liegen in Leipzig, auch wenn der Verlag noch nicht Schwarzkopf & Schwarzkopf hieß. Der blutjunge Noch-nicht-Verleger Oliver Schwarzkopf war studienhalber 1987 von Berlin nach Leipzig gezogen (ist also Berliner, nicht Leipziger, auch wenn es immer wieder mal falsch kolportiert wird), das Studium der Theaterwissenschaften wurde mit Begeisterung begonnen und dann kurz nach der Wende ebenso begeistert und bis heute unterbrochen, weil die Lust auf tageslichtarme Probebühnen in der Wendezeit verloren gegangen war.

Das erste Buch erschien im März 1992: "Mein Messer lob ich mir" von Andreas Poppe, ein schräger Leipzig-Krimi der Nachwende-Zeit. Der Titel ist eine kleine Hommage an Goethes "Mein Leipzig lob ich mir! Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute." Zeitgleich auch die erste Teilnahme an der Leipziger Buchmesse mit einem eigenen Stand, seitdem ununterbrochen auf der Leipziger Buchmesse. Im Herbst erstmals auf der Frankfurter Buchmesse, seitdem auch dort 25 Jahre ohne Unterbrechung als Aussteller.

Die Leipzig-Krimis wurden fortgesetzt, das ganze war dann eine Reihe unter dem Titel LEIPZIG CRIME mit dem Slogan JEDE GROSSSTADT HAT DAS VERBRECHEN, DAS SIE VERDIENT. 

Der passte in diese wilde Zeit, Leipzig war damals eher unregierbar, und die ostdeutschen wie westdeutschen Glücksspiel- und Rotlicht-Größen hatten genug Zeit und Muße, ihre Meinungsverschiedenheiten in Form von Schießereien auszutragen, was Leipzig damals den Beinamen CHICAGO DES OSTENS nicht zu Unrecht eintrug.

1993: BERLIN RUFT: COMING HOME.

Die Reihe LEIPZIG CRIME war unterdessen auf vier Titel gewachsen, der bemerkenswerteste Krimi war sicherlich DER KLEINE PARISER von Frank Goyke. Doch irgendwann war es nach sechs Jahren in Leipzig genug. Ganz sicher ist Leipzig die großartigste Stadt im ganzen Osten, und ich werde immer einen Koffer und viele Freunde dort haben.

Doch ich wollte nun wieder nach Berlin, weil es dort viel mehr interessante Geschichten und tolle Autoren gab. Der Prenzlauer Berg fehlte mir auch schon lange, der damals natürlich noch ganz anders war: Verrottete Bausubstanz, aber der Aufbruch war enorm.

Da wollte ich hin, und dass auch viele Bayern und Schwaben sich gen Norden in Bewegung gesetzt hatten, störte mich nicht. Also: Der Rucksack wurde gepackt.

Und weil es in Leipzig mit den Krimis schon so schön war, ging es in Berlin mit einer neuen Reihe weiter: BERLIN CRIME. Die Hauptstadt hatte noch viel mehr an Verbrechen zu bieten.

1994: GRÜNDUNG DER GMBH - JETZT GEHT’S RICHTIG LOS!

Bislang war der Verlag eine GbR, doch nun sollte es richtig los gehen, eine GmbH sollte gegründet werden. Der Name ist nicht schwer zu finden, wenn zwei Brüder die Firma gründen, auch wenn der eine gar nicht im Verlag tätig ist. So kam es jedenfalls zu Schwarzkopf & Schwarzkopf, ganz simpel.

In diesem Jahr erschien auch mit SPRAY CITY der erste farbige Graffiti-Bildband in Deutschland überhaupt, gefolgt von GRAFFITI ART - DEUTSCHLAND, dem erfolgreichen Auftakt einer ganzen Serie von farbigen Graffiti-Büchern, was damals ein echtes Novum war. Zum ersten Mal rannten uns die Buchhändler die Bude ein, weil die Bücher sich schneller verkauften als wir sie drucken konnten.

Die Buchhändler sahen jedenfalls merkwürdige Gestalten mit einer aus ihrer Sicht komischen Sprache und sehr tief sitzenden Hosen in ihren Geschäften, die sich sonst nicht zur Lütteratur verirren. Leider hat nicht jeder HipHop-Fan sein Exemplar im Buchladen bezahlt, was die Freude etwas trübte. Aber Graffiti war viele Jahre ein wichtiges Standbein des Verlages.

1995: GREGOR GYSI UND JÜRGEN KUTTNER

Kann man Gregor Gysi mögen, ohne ihn zu wählen? Kann man Gregor Gysi verlegen, und gleichzeitig seine vielfach gewendete und umbenannte Partei nur sehr gering schätzen? Man kann! Ich hatte während der Zusammenarbeit immer das Gefühl, dass die Betonfraktion der ewiggestrigen Genossen ihn permanent nervt und er seine eigene Partei auch nicht immer mit einem guten Gefühl gewählt hat. Sein Buch FRECHE SPRÜCHE war ein Ost-Bestseller, gefolgt von NICHT NUR FRECHE SPRÜCHE.

Einer der größten Talente des Ostens war zweifelsfrei Jürgen Kuttner, der damals seine Sendung SPRECHFUNK machte. Da er so schnell sprach und man ihm kaum folgen konnte, lag nichts näher, als die Bänder abzuhören und ein SPRECHFUNK-LESEBUCH daraus zu machen. Der Erfolg war großartig, zur Signierstunde stand die Schlange rund ums Internationale Buch, das es damals noch in der Spandauer Straße gab. Später folgten noch die EXPERTENGESPRÄCHE mit Stefan Schwarz.

1996: WOLF BIERMANN, HEINER MÜLLER, ROGER MELIS

Wolf Biermann ist zweifelsfrei der größte deutsche Dichtersänger der Nachkriegszeit. Seine frechen Verse haben die Mächtigen der DDR sehr geärgert, und seine Ausbürgerung war der erste Sargnagel ihres Untergangs. Biermann weiß um seine politische Rolle ebenso wie um seine künstlerische Bedeutung, das ist auch in Ordnung, nur leider zeigt er zu oft, dass er es weiß.

Zu seinem 60. Geburtstag wollten Roger Melis und ich einen Bildband machen. Roger war nicht nur der freundlichste Mensch dieses Landes, sondern Melis war auch noch der beste Schwarzweiß-Porträtfotograf der DDR. Niemand konnte wie er den Leuten ins Gesicht fotografieren, die sich ihm gegenüber offen zeigten wie sonst wohl kaum. Rogers große Kunst war es, sich selbst zurückzunehmen und sich als Fotografen niemals wichtiger zu nehmen als die Porträtierten.

Da Biermann und Melis beide an der Ecke Chaussee-/Hannoversche Straße wohnten, kannten sie einander, und Melis hat die besten Biermann-Bilder gemacht, die es gibt. Alles, was damals in den Siebzigern fotografiert wurde, ist von ihm, und war ein echter Schatz, den wir heben wollten.

Wolf Biermann hat die Bilder launig kommentiert, entstanden ist ein ziemlich schöner Bildband, jedenfalls wenn man Wolf Biermann mag, und ich mochte seine Lieder immer. Sie haben mir, wie so vielen anderen auch, durch die DDR geholfen.

Der Untertitel des Buches lautete auf Wunsch von Biermann übrigens: "Mit abschweifenden Anmerkungen und wichtigen Nichtigkeiten von Wolf Biermann." Das traf es sehr gut, denn nichts ist unwichtig, keine Nichtigkeit.

Dieses Buch war eine der vielen Erfüllungen eines Traums für mich, mit Biermann hatte mein Vater Anfang der Sechziger Jahre am BAT gearbeitet, das Stück hieß Berliner Brautgang und wurde vor der Premiere verboten. Biermann war bei uns zu Hause präsent, seine Platten und Bücher, erschienen bei Wagenbach, wurden geschmuggelt, die Titelbilder waren von Roger Melis.

Und 1996 schloss sich der Kreis mit diesem Bildband. Dass Roger und ich Biermann in Hamburg mehrfach besuchen konnten, dass er sich sehr viel Zeit für dieses Buch nahm, dass er uns in seinem Haus beherbergt hat und ein großartiger Gastgeber war, sei noch angemerkt.

Er war natürlich darauf bedacht, nicht zu viel Futter seiner später noch zu schreibenden Autobiografie zu verschleudern, aber das konnte nicht passieren, viel zu viel hatte er erlebt. Dies später in einem dicken Buch bei Ullstein nachlesen zu können, hat viele Erzählungen ergänzt und abgerundet.

Roger Melis starb Ende 2009, er wird in diesen Erinnerungen noch öfter vorkommen. Er war einer der wenigen wirklich herzensguten Menschen auf dieser Welt. Ich verdanke ihm viel. Sein Sohn Mathias Bertram hat in den letzten Jahren wunderbare Bildbände aus dem Nachlass herausgegeben, die bei Lehmstedt erschienen sind, ich empfehle sie nachdrücklich.

  

Heiner Müller war der wichtigste deutsche Dramatiker der Nachkriegszeit, wichtiger als Brecht, dessen Texte nach der Rückkehr aus dem Exil viel weniger bedeutend waren als die großen Stücke seiner Jugend, geradezu läppisch gegenüber Baal und Im Dickicht der Städte. Und in der DDR seiner eigenen Generation war Müller vollständig konkurrenzlos. Was Hacks natürlich sehr ärgerte, der viel bessere klassische Verse schmiedete, aber die Stücke waren zumeist nicht so, dass sie die jungen Menschen begeistern konnten, die von der engstirnigen DDR die Nase voll hatten. Man kann sagen, Hacks war langweilig, Müller war aufregend.

Müller war Ende 1995 viel zu früh gestorben, wir wollten seiner gedenken. Zu seinem ersten Todestag erschien deshalb der Bildband HEINER MÜLLER – BILDER EINES LEBENS. Es war das bislang größte und schwerste Buch des Verlages, ein Mammutwerk von 500 Seiten, 750 Abbildungen und etwa 5 Kilogramm schwer. Zahllose Fotografen haben ihre Archive geöffnet und das Werk enorm bereichert. Ein ganzer dicker Bildband nur für und über einen einzigen und nicht mal besonders hübschen Mann! Warum nicht, es war ja Heiner Müller.

Die Bildrechte für dieses Buch haben ein kleines Einfamilienhaus gekostet. Und das, obwohl jeder Fotograf erhebliche Zugeständnisse gegenüber den üblichen Preisen für Abdruckhonorare gemacht hat. Aber in der Summe war es fast alles, was ich damals hatte. Und ich bin den Fotografen sehr dankbar gewesen, dass sie dieses Buch möglich gemacht haben.

Es wurde ganz sicher der teuerste Flop des Verlages, aber dieses Buch musste sein, denn Heiner Müller war nicht nur ein langjähriger Freund meines Vaters, sondern sein Werk für mich der eigentliche Grund, ans Theater gehen zu wollen. Manche Flops macht man eben gern, weil das Buch so wichtig ist, und sei es nur, für einen selbst. Heute zählt es zu einer gesuchten Rarität, so ändern sich die Zeiten.

1997: ODEM - ON THE RUN

Die Geschichte zu diesem Buch wird nachgeliefert, bitte etwas Geduld!


1998: Folgt.

1999: WIR WOLLEN IMMER ARTIG SEIN

Mein Buch des Jahres 1999: WIR WOLLEN IMMER ARTIG SEIN: Punk, New Wave, HipHop und Independent-Szene in der DDR 1980-1990. Was die Herausgeber Ronald Galenza und Heinz Havemeister mit diesem Buch geleistet haben, kann man gar nicht genug preisen. Als dieses Mammutwerk im Herbst 1999 mit einigen Jahren Verspätung endlich erschien, fiel eine Last von allen Beteiligten. Doch die Mühe und Geduld hatte sich gelohnt.

Bis heute ist das Buch eines der Top 100 meines Verlags und in meinem Herzen, denn diese Musik der achtziger Jahre in der DDR war meine Musik, mehr als jede andere. Natürlich haben wir notgedrungen auch Jazz und Blues und Liedermacher gehört, das war auch alles in Ordnung, jedenfalls meistens. Auch zu Silly, City und Rockhaus sind wir mal gegangen, die hatten ja auch ein paar gute Songs. Zu den Puhdys hingegen nie (Staatsrock!), zu Pankow aber immer (Paule Panke im HDJT, das sprach uns aus dem Herzen!) 

Das waren die Koordinaten: Die Stones des Ostens (Pankow: „Er will anders sein!“) waren großartig (und sind es bis heute!), die Puhdys hingegen hatten jeden letzten Kredit verspielt, nachdem sie als BAP-Ersatz-Band im Palast der Republik ihre Seele verkauft hatten. Freygang und Renft waren verboten, aufgelöst, im Westen oder alles gleichzeitig, die waren jedenfalls vor meiner Zeit. Manche junge Band war auch durchaus sehr okay (Chicoree, später bekannt als Die Zöllner, natürlich Die Skeptiker, teilweise sogar auch alte Bands wie Lift, ein paar andere).

Man wusste (oder ahnte es zumindest) als junger Mensch, wie schwer es für Musiker war, aussagekräftige oder gar kritische Texte durch die Mühlen der Genehmigung zu kriegen. Wenn man diesen Weg gehen wollte, dann war der anstrengend. Viel Lavieren nach allen Seiten hin. Es war kompliziert.

Die Oberen im Osten waren launisch, heute war das Wort Banane verboten, morgen Butter, übermorgen Bettwäsche. Was eben gerade knapp war, und meistens war alles knapp, vor allem gute Laune. Historischen Optimismus gab es hingegen reichlich - in der Zukunft würde alles nicht nur besser werden, sondern sogar ganz, ganz toll. Wer es glaubt …

Aber der Punk und die New Wave der DDR, das war neu, das war anders, das war wirklich Independent, und zwar geistig wie materiell. Die haben sich nicht mehr um die Zulassungskommission, um den gruseligen Verband der Unterhaltungskünstler und um Gisela Steineckert als Vorsitzende geschert. 

Diese neue Generation an Musikern hat sich nicht mal um die Fleischtöpfe der Macht gekümmert. Die haben einfach Musik gemacht, in Kellern, auf Hinterhöfen, weil sie es wollten, weil sie nichts zu verlieren hatten außer ihren Saiten. 

Das führte zu einmaligen Auftritten. Ornament & Verbrechen auf irgendeinem Berliner Hinterhof. Feeling B im Bärenschaufenster gegenüber vom Tierpark und vor der Haustür von Heiner Müller. Wutanfall im FDJ-Studentenclub der Theaterhochschule Leipzig. Selbst das abgerockte, einst ehrwürdige Kino Regina in Leipzig wurde okkupiert, plötzlich gab es dort Punk-Konzerte. In der Moritzbastei natürlich sowieso. 

Aber alles unter den Augen der Stasi, was dazu führte, dass zwei von drei Mitgliedern der Band Die Firma bei der Firma waren und sich gegenseitig observierten. Aber es waren die Achtziger Jahre, der Staat wurde machtloser, und dass er gegen Ende des Jahrzehntes so schnell und so verdient zusammenbrechen würde, ahnte da noch niemand. 

Leider hat die FDJ auch versucht (und es vielfach geschafft), einige dieser später „die anderen Bands“ genannten Kapellen in die staatlichen Strukturen zu integrieren. Mit Druck und mit Verlockungen, mal so, mal so. Hier eine Genehmigung, dort ein Auftritt, da eine Androhung eines Knastaufenthaltes. 

Eine komplexe und verwobene Geschichte, diese ganze Independent-Szene der DDR in den achtziger Jahren. Dies mit größter Leidenschaft, mit immenser Sachkenntnis und mit der Hilfe vieler Beteiligter zu einem dicken Buch zusammengetragen zu haben, ist für immer das Verdienst von Ronny und Heinz, vor denen ich mich verneige.

Es war jede Mühe und Entbehrung wert, und so lange es meinen Verlag gibt, wird dieses Buch lieferbar bleiben, fest versprochen. Denn es ist längst zu einem zeitlosen Klassiker geworden. Denn sicher gibt es bessere Zeiten. Aber dieses waren unsere.